Interview für L´Equipe
L’Équipe (französisch für „Die Mannschaft“) ist die größte französische Sport-Tageszeitung. In dem telefonischen Interview ging es um das Achtelfinale der Champions League und speziell um die Begegnung FC Paris Saint-Germain gegen Borussia Dortmund. Redakteur David Rioux führte das Gespräch mit dem BVB Experten letzte Woche und wurde dann am 18.Februar 2020 in der Ausgabe am Spieltag veröffentlicht. Sehr ausführlich und in der Tiefe super interessante Fakten, Ansichten und Ausblicke werden in dem Interview aufgezeigt.
Das Interview in deutsch
Wie sehen Sie dieses Achtelfinale zwischen Paris und Dortmund? Ist es ein Spiel auf Augenhöhe?
Für mich nicht. Paris ist schon der Favorit in dieser Begegnung und die erste Begründung dafür ist natürlich die Offensive. Bei PSG gibt’s Spieler wie Mbappé, Neymar, Di Maria, Icardi und Cavani, die Superstars sind, kurz nach Ronaldo oder Messi. So viel offensive Power hat Borussia Dortmund nicht zu bieten. Gleichzeitig hat der BVB aber zwei sehr gute Einkäufe gemacht in der Winterpause mit Erling Haaland und Emre Can. Mit Emre Can hat Dortmund das zentrale defensive Mittelfeld verstärkt. Und mit Haaland hat er vielleicht das Mittelstürmer-Talent geholt. Favorit ist also Paris aufgrund der gesamten Kader-Zusammenstellung. Paris ist sicherlich insgesamt noch einen Schritt weiter. Gegen Bayern München würde ich zum Beispiel sagen: der FC Bayern ist eher der Favorit. Aber gegen Dortmund hat Paris einige Vorteile.
Thomas Tuchel hat früher Dortmund trainiert. Kann es eine Rolle spielen?
Das ist schon ein Faktor: Thomas Tuchel hat Borussia Dortmund im Bösen verlassen. Das heißt, dass er gegen die Verantwortlichen dort – Hans-Joachim Watzke und Michael Zorc – mit allen Mitteln gewinnen möchte. Ich würde nicht sagen, dass er nachtragend ist, aber ich glaube, dass Thomas Tuchel sich natürlich besonders freuen würde, wenn er Borussia Dortmund ausschaltet. Das wird ihm extra Kraft geben. Vor drei Jahren hat Borussia Dortmund Tuchel entlassen, als Erfolgstrainer. Dritter in der Bundesliga geworden, hat sich also direkt für die Champions-League qualifiziert und dann noch den DFB-Pokal gewonnen. Und wurde dann weggejagt. Danach – und das spricht heute für Thomas Tuchel – hatte Borussia Dortmund große Probleme den richtigen Trainer zu finden. Wir können uns daran erinnern, es kamen drei Trainer: Peter Bosz, Peter Stöger und Lucien Favre. Diese gesamte Konstellation, erhöht die Wahrscheinlichkeit dass Paris ins Viertelfinale einzieht.
Der Erfolg der Saison bei Paris wird immer durch die Champions-League bewertet. Wie wichtig ist die Champions-League für Dortmund?
Es ist ein Vorteil für Dortmund, dass der Druck bei Paris so hoch ist. Für Dortmund war es ganz wichtig, in der Champions-League zu überwintern. Jetzt ist der Druck geringer, erst recht gegen PSG.
Dortmund hat angeblich einen der besten Kader seiner Geschichte, talentierte Spieler, und trotzdem funktioniert es nicht ganz gut. Was ist denn los?
Es gibt mehrere Gründe. Ein Grund ist immer noch Erfolgstrainer Jürgen Klopp, er ist einfach kaum zu ersetzen für alle in Dortmund. Er ist jetzt sogar der beste Trainer der Welt. Der Druck ist dadurch in Dortmund für jeden Trainer enorm groß. Zweitens ist Lucien Favre ein Trainer, der sehr akribisch, sehr vorbereitet und sehr klar analysiert und handelt, aber aus meiner Sicht auch etwas zu ängstlich ist. Das sieht man an Haaland, er musste drei Mal eingewechselt werden bis er von Anfang an spielte. Emre Can musste erstmal auf die Tribüne und dann auf die Bank. Das sind nur kleinen Anzeichen, aber es zeigt, dass der Trainer öfters zaudert.
Das heisst: Lucien Favre passt nicht perfekt zu Dortmund?
Er ist ein ruhiger und ausgeglichener Mensch, so ist seine gesamte Persönlichkeit. Die Menschen im Ruhrgebiet sind aber sehr emotional und sehen gerne einen emotionalen Trainer an der Seitenlinie. Das Gesamtpaket ist also grundsätzlich nicht einfach. Der letzte Punkt ist: Lucien Favres Philosophie bei Hertha Berlin und Borussia Möchengladbach war: taktisch gut organisiert zu sein, defensiver zu spielen und dann ganz schnell umzuschalten nach Ballgewinn. Bei Borussia Dortmund ist es anders: dort musst du meistens das Spiel machen und höher verteidigen. Da offenbart der BVB Probleme und genau dafür trägt der Trainer die Verantwortung. Im Moment ist sehr schwierig für Lucien Favre.
Im Endeffekt fehlt der Mannschaft die Balance.
Ja, das war auch unter Peter Bosz der Fall. Man muss mit Borussia Dortmund offensiv spielen. Das ist aber ein sehr wichtiger Punkt: wenn du den Ballgewinn willst, brauchst du auch Spieler, die defensiv bereit sind, zu arbeiten. Klopp spielt mit drei Stürmern, aber sie pressen alle aggressiv. Der Trainer hat also einen unglaublich großen Einfluss, was Leidenschaft und Laufbereitschaft betrifft. Du brauchst dafür einen emotionalen Typ, um alles raus zu kitzeln. Auch darum ist der BVB defensiv so anfällig.
Dortmund hat aber auch außergewöhnliche Qualitäten. In welchem Bereich ist die Mannschaft besonders stark?
Auf alle Fälle die Außenpositionen, besonders mit Jadon Sancho. Er ist unglaublich. 26 Torbeteiligungen schon, das ist für einen 19jährigen überragend. Grundsätzlich läuft es mit Ball sehr positiv. Die Mannschaft kann jederzeit ein Tor machen. Die Offensive wird gefährlich werden, selbst für Paris. Dortmund hat noch dazu viele junge Spieler, die noch Schwankungen unterworfen sind. Paris bringt viel mehr Erfahrung mit auf diesem hohen Level, aber wenn die offensive Maschine mit der nötigen Balance gekoppelt ist, dann kann Dortmund gerade in so einem Vergleich über sich hinauswachsen.
5-5 zwischen Paris und Dortmund scheint also möglich!
Ja! Wir können uns an das Gruppenspiel gegen Inter Mailand erinnern. 3-2 gegen den ersten der italienischen Liga, und sie haben das Spiel nach einem 0:2 zur Pause noch gedreht. Die offensive Power gekoppelt mit der Südtribüne, mit diesem Heimvorteil, ist es auch für die Dortmunder Fans ein Highlight des Jahres. Die Stimmung wird dann überkochen, wenn Dortmund mit Herz und Leidenschaft spielt. Paris muss genau dann höllisch aufpassen.
Paris ist dreimal in Folge im Achtelfinale gescheitert. Sind die Nerven ein Schlüssel?
Ich kann mich gut an das Aus gegen Manchester United im letzten Jahr erinnern. Es war unverdient und noch dazu nach einem unberechtigten Handelfmeter. Die bessere Mannschaft schied aus. Paris hatte wirklich Pech. Das Spiel gegen Barcelona war eine andere Konstellation. Wenn du zu Hause 4:0 gewinnst, dann hast du das Gefühl du bist schon eine Runde weiter. Ich kann mich auch noch daran erinnern, dass ein deutscher Schiedsrichter mit strittigen Entscheidungen das Spiel am Ende beeinflusste, und somit PSG noch sehr unglücklich ausschieht. Der Druck von der Medienseite ist sowieso da, das ist klar, aber deswegen freuen wir uns um so mehr auf diese Begegnung. Es wird ein richtig tolles Spiel, mit der Tuchel-Vergangenheit, mit dem Druck für Paris – endlich weit zu kommen. Oder vielleicht wird Tuchel danach sogar entlassen! Der Kopf spielt auch eine große Rolle, nicht nur das Geld. Teamgeist auch. Wichtig bleibt für Paris natürlich die Trainerwahl, siehe Liverpool mit Jürgen Klopp. Das könnte der kleine Unterschied sein, warum Paris noch keinen internationalen Titel gewonnen hat.
Ist Erling Haaland wirklich ein Phänomen, Ihrer Meinung nach?
Für sein Alter(19) jetzt schon. Dass er in seiner ersten halben Champions-League-Saison bei Salzburg 8 Tore gemacht hat, ist schon phänomenal. Da kann ich mich an Michael Owen oder Wayne Rooney erinnern, sie haben mit 17 in der Premier League getroffen und dann auch schnell international überzeugt. Haaland ist wirklich ein super Talent. Jetzt kommen Momente, die ihn auf die nächste Ebene heben können. Wenn er gegen Paris trifft und Dortmund weiterkommt, dann ist das natürlich schon eine Hausnummer. Die Champions-League ist das höchste Niveau, wo du genau sehen kannst wie weit der Spieler wirklich schon ist. Ich persönlich glaube, dass er schon jetzt alle Qualitäten hat. Beispiele sind: sein Instinkt, in die Abschlussposition zu kommen, seine cleveren Laufwege, seine technischen Fähigkeiten, seine Größe, sein Kopfballspiel. Er ist zwar nicht der Schnellste, Mbappé ist schneller, aber: viele Grundvoraussetzungen machen ihn schon jetzt zu einem kompletten richtigen Mittelstürmer.